In Sulzbach an der Murr am Tor zum Schwäbischen Wald hat die Ortsgruppe des Schwäbischen Albvereins (SAV) zu ihrem 125-jährigen Jubiläum einen besonderen Wanderweg eingeweiht – Corona-bedingt erst jetzt Ende Oktober. Auch eine neue Wandertafel gab’s zum Jubiläum. Die Tour hatte definitiv nichts mit einem Spaziergang zu tun.
Von Ute Gruber
Gleich vom Start weg geht es in flottem Tempo los, das Vorhaben ist sportlich: ca. 40 Kilometer und 1200 hm in 10 Stunden, inklusive Mittagspause. Um 17 Uhr will man zurück sein hier am Wanderheim Eschelhof, zur Einweihung der neuen Wandertafel, und man ist -bedingt durch die notwendige Registrierung und Gruppeneinteilung- schon eine halbe Stunde im Verzug.
Zuerst geht’s auf dem GFW, dem Georg-Fahrbach-Weg, durch das Weiler Ittenberg und dann mit einigen schönen Ausblicken steil bergab zum Sulzbacher Bahnhof, dem eigentlichen Startpunkt der nagelneuen Rundwanderroute zu 125-jährigen Jubiläum. In fünf Corona-konforme Gruppen eingeteilt queren die 42 Jubiläumswanderer unten im Murrtal die Bundesstraße und dann macht man sich auch schon an die erste Steigung, den Roßsteig, auch Rostel genannt. An diesem Hang soll auch heute noch der Geist jenes jungen Schäfers spuken, der hier sein schwangeres Mädchen ermordet und verscharrt haben soll. Die landesweit erfolgreiche Sulzbacher Mundartband Wendrsonn hat darüber sogar ein Lied verfasst: Rostelschäfer heißt‘s.
Auf halber Höhe geht es an der Nordflanke entlang, unten im Tal liegt das Dörflein Lautern. Bald steigt die Morgensonne über den Horizont und bestrahlt den waldigen Hang schräg gegenüber. In phantastischer Brillanz erstrahlen nun die Farben des Herbstlaubes: Ein Patchwork in gelb, orange, rostrot. Dazwischen das frischere Grün der Nadelbäume – eine Augenweide. Zeit für eine kurze Trinkpause.
Alsbald geht es wieder zügig hinab ins Tal, über die Lauter und die Landesstraße nach Siebersbach, den östlichsten Teilort der Gemeinde. Am Alten Schulhaus vorbei geht‘s durch das Krebsbachtal hinauf nach Kleinhöchberg. Stramme Schulkinder schafften früher diesen ihren Heimweg von der Schule in einer halben Stunde. Auch die ambitionierten Wanderer heute halten sich nicht unnötig auf, gevespert wird im Gehen. Nur auf die stündliche Trinkpause legen die Wanderführer großen Wert: „Der Flüssigkeitsbedarf ist enorm bei diesem Tempo!“ Um zu wissen, wie sie mit ihrem Tempo liegen, lauschen die Wanderführer in die Truppe: „So lange noch munteres Geplauder herrscht da hinten, hat’s noch Luft nach oben“, dann kann das Tempo noch angezogen werden. „Wenn’s dann ganz still ist, muss man langsamer machen, vor allem am Berg.“ Bis zu sechs Kilometer in der Stunde sind möglich, dann allerdings mit Trinken im Gehen. Heute sind’s immerhin um die 5 und jetzt trennt sich die Spreu vom Weizen: Einige können das zügige Tempo bergauf nicht mithalten und fallen zurück. Eine hochgebirgserfahrene Wanderführerin erbarmt sich und vermindert ihr Tempo: „Dann mach‘ ich halt den Lumpensammler.“ Solidarität ist Trumpf – keiner soll alleine laufen müssen.
Hinter dem Weiler Kleinhöchberg bietet sich ein schöner Blick Richtung Berwinkel und der Hohen Brach mit dem Fernmeldeturm, bevor es allmählich wieder zu Tal geht, vorbei am Naturdenkmal Königseiche. Mehrere solcher Ausblicke bietet der Jubiläumsweg rund um Sulzbach an der Murr, sowie die schönsten Naturdenkmäler auf der Gemarkung: Außer der Königseiche auch Teufelstein und Helenenruhe. Dazu einen Baumlehrpfad, der unlängst mit klimastabilen Baumarten ergänzt und neu beschildert wurde – das Arboretum. Alle Sulzbacher Schönheiten auf einer Gesamtstrecke, die fast alle Sulzbacher Teilorte besucht und in drei gerechte Schlaufen angeordnet ist, wie ein konventionelles Kleeblatt. Jede einzelne Schlaufe hat zwischen 12 und 17 Kilometer, bei 340 bis 490 Höhenmetern, die zu überwinden sind. Vom Hauptort aus kann jeder Abschnitt so auch gemächlich als überschaubare Sonntagswanderung begangen werden – mit anschließender Einkehr in einer der vielen verschiedenen Gaststätten im staatlich anerkannten, waldreichen Erholungsort. Die Verantwortlichen der Ortsgruppe haben an alles gedacht.
Heute kehrt man nach der zweiten Schlaufe und etwa dreiviertel der Strecke ausnahmsweise in der Kantine der ortsansässigen IT-Firma L-Mobile ein. Inhaber Günter Löchner, der selbst Ausdauersportler ist, hat die unermüdlichen Jubiläumswanderer zu Mittag geladen. Sein Sohn Lukas, der Leiter der Kantine, kredenzt ein liebevoll angerichtetes Essen inklusive Hefeweizen und Verdauungskaffee. Nur drei der über 40 Wandersleute beenden hier nach ca. 30 Kilometern die Wanderung, die übrigen machen sich gestärkt auf die letzten Kilometer über Schleißweiler wieder hinauf zum Wanderheim Eschelhof.
Am Ende kommen stolze 41 km zusammen – bei Weitem nicht für alle Beteiligten eine übliche Strecke, auch wenn das Weitwandern nach Beobachtung der Wanderführer vor allem unter den sportlich ambitionierten Jüngeren stark im Trend liegt. Gerade diese sind heute auch von weiter her angereist: Heidelberg, Plattenhardt/Fildern und Wendlingen am Neckar werden u.a. genannt. „Dieses Jahr sind ja so viele Touren abgesagt worden, da freut man sich, wenn man endlich mal wo hin kann!“, meint eine Frau strahlend. Und nimmt dafür auch anstandslos die vorgeschriebenen Corona-Hygieneregeln in Kauf.
Zum Beispiel die Maskenpflicht bei der Enthüllung der funkelnagelneuen Tafel vor dem Wanderheim mit zahlreichen Ehrengästen im Anschluss an die Eröffnungswanderung.
Hier am Knotenpunkt von GFW, Jakobspilgerweg, Schwäbischer Wald-Weg, Idyllische Straße „S“, Naturfreunde-Weg und nun auch Jubiläumsweg glänzt sie im Edelstahlrahmen vor dem Tor und zeigt nicht nur anschaulich die ausgewiesenen Touren auf einer großen Wanderkarte, sondern bietet zugleich ganz zeitgemäß für verschiedene Strecken einen QR-Code, mit dem Smartphone-Besitzer sich die Daten aufs Handy holen können. Vorerst ist der WanderWalter verlinkt. „Evtl. verbinden wir die Informationen in absehbarer Zeit mit aktuell populären Wanderprogrammen, wie bspw. Komoot oder OutdoorActive, die dann auch eine Navigation einfach möglich machen“, spinnt Vorstand Edwin Löcherbach Zukunftsvisionen.
Eine tolle Idee, findet Sulzbachs Bürgermeister Zahn, den neuen Wanderweg und die Tafel hier mit dem Wanderheim zu verknüpfen und hat gerne mit einem Zuschuss für den praktischen Wanderweg-Flyer aus der Gemeindekasse beigetragen. Auch der Vorsitzende des Rems-Murr-Gaus Roland Luther ist froh über die neue Tafel und meint augenzwinkernd: „Da hing zuvor ein uralter Plan, der war zutiefst historisch. An dem hätten Heimatkundler sicher ihre Freude gehabt.“ Sein Dank gilt neben der OG Sulzbach/Murr für deren Initiative auch dem LEADER-Programm, durch das die Erstellung der Tafel großzügig gefördert wurde. Auch bringt er vom SAV-Präsidenten die frohe Botschaft, dass die Pacht des Eschelhofes für fünf Jahre verlängert wurde.
Während das schöne Stück im Blitzlichtgewitter die Hüllen fallen lässt, trudeln auch die letzten atemlosen Jubiläumswanderer im Eschelhof ein und werden mit frenetischem Applaus begrüßt. „Also wenn das Wandern isch“, meint eine Frau, indem sie sich den Schweiß von der Stirne tupft, „dann sin mir seither eigentlich nur spaziere gloffe“. Der Wegewart Albrecht Winter erkundigt sich derweil bei den Wanderern, ob denn die angebrachten Wegweiser eindeutig seien: „Schließlich soll man auch diesen Wanderweg selbst ohne Karte finden können.“
Man tauscht Bergstiefel gegen Schlappen, holt sich eine Rote im Weck und ein Bier am Kiosk, sinkt zufrieden seufzend auf die rustikalen Bänke nieder und versucht, nicht an den Muskelkater am nächsten Morgen zu denken. „Och“, meint indes munter die ausgebremste Hochgebirgswanderin, „so gemütlich – ich könnt‘ des grad nochmal laufen!“